Kanons mit Cantus Firmus

Cantus firmus (Abkürzung: c. f., lateinisch: "fester Gesang") nennt man eine besonders hervorgehobene Melodie, die von mehreren Stimmen kontrapunktiert wird. Diese Melodie ist oft ein Choral aus dem kirchlichen Gesangbuch und wird dementsprechend nur wenig variiert und verändert.

Als Beispiel für Kanons mit einem Cantus firmus (c. f.) dienen hier weitere drei Kanons aus
Musikalisches Opfer, BWV 1079 von J. S. Bach.

Der Cantus firmus ist in allen drei Fällen ein Thema, dass Bach 1747 bei seinem Besuch des Königs Friedrich II. von Preußen (Friedrichs des Großen) von diesem bekommen hat, um in einem Konzert in Gegenwart des Königs darüber eine sechsstimmige Fuge zu improvisieren.

BWV 1079, Nr. 2: Canon perpetuus

Bach schreibt den Cantus firmus und den kanonischen Kontrapunkt in jeweils ein Notensystem, wobei der c. f. oben steht (BLAU). Da die Kanonstimme in einem Notensystem notiert ist, handelt es sich hier um einen Kanon mit realer Beantwortung. Dass es sich bei dem Kontrapunkt um einen Kanon handelt, wird dadurch deutlich, dass am Beginn des entsprechenden Notensystems zwei Notenschlüssel stehen und zwar dergestalt, dass auch das Einsatzintervall des Kanons deutlich wird. (Siehe die Position des Bassschlüssels!) Der erste Schlüssel legt die Tonhöhe des ersten (GRÜN), der zweite Schlüssel die des zweiten Stimmeneinsatzes (ROT) fest.

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Die besondere Schwierigkeit bei einem Kanon mit c. f. liegt darin, dass die Kanonstimme nicht nur ohne Zeitversatz zum c. f. , sondern auch um den Eisatzabstand versetzt zu sich selbst und zum c. f. passen muss. Die Farben in der unteren Grafik entsprechen der Lesart des oben mit der jeweils selben Farbe markierten Notenschlüssels. Weil die Kanonstimme einmal mit einem as'' (GRÜN) und einmal mit einem Kleinen as (ROT) einsetzt, liegt der Cantus firmus in der Mittelstimme.

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BWV 1079, Nr. 3c: Canon per motum contrarium

Der folgende Kanon geht vom kontrapunktischen Schwierigkeitsgrad her gesehen einen Schritt weiter. Cantus firmus (BLAU) und kanonischer Kontrapunkt sind wieder in einem jeweils eigenen Notensystem notiert reale Beantwortung. Die zwei C-Schlüssel der Kanonstimme (GRÜN, ROT) legen hier nicht nur das Einsatzintervall fest, die kopfstehenden B-Vorzeichen des zweiten Schlüssels (ROT) weisen darauf hin, dass der zweite Einsatz des Kanons in Umkehrung zu erfolgen hat. D.h. der c. f. wird hier von einem Spiegelkanon kontrapunktiert.

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Hier muss die Kanonstimme zum c. f. einerseits ohne Zeitversatz, andererseits im Einsatzabstand versetzt zum eigenen Spiegel (!) und zum c. f. passen. Die Farben in der unteren Grafik entsprechen der Lesart des oben mit der jeweils selben Farbe markierten Notenschlüssels.

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BWV 1079, Nr. 3d: Canon per augmentationem, contrario motu

Der folgende Kanon ist der komplizierteste.

Cantus firmus (BLAU) und kanonischer Kontrapunkt (GRÜN, ROT) erhalten auch hier jeweils ein eigenes Notensystem (reale Beantwortung). Beide Notenschlüssel des Kontrapunkes zeigen das Einsatzintervall auf und der auf dem Kopf stehende Violinschlüssel nebst den dazugehörigen B-Vorzeichen (ROT) deuten darauf hin, dass es sich hier wieder um einen Spiegelkanon handelt. In der Überschrift weist Bach jedoch darauf hin, dass der zweite Kanonstimmeneinsatz zusätzlich zur Siegelung in der Vergrößerung ("per augmentationem"), d.h. in doppelt so langen Notenwerten zu erfolgen hat. Der Kontrapunkt zum c. f. ist also ein Vergrößerungskanon in der Umkehrung.

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Einerseits muss die Kanonstimme zum c. f. ohne Zeitversatz, andererseits muss um den Eisatzabstand versetzt der eigene Spiegel in doppelten Notenwerten zu sich selbst und zum c. f. passen. Da durch die Vergrößerung der zweiten Kanonstimme der Bezug zu den beiden anderen Stimmen zeitlich immer mehr anwächst (denn sie braucht ja doppelt so viel Zeit, um einmal durchgespielt zu werden), können die beiden anderen Stimmen ZWEIMAL gespielt werden, während die vergrößerte Stimme einmal erklingt. Hier ein grafischer Eindruck der komplexen Zusammenhänge dieses Kanons. Die übereinander liegenden Punkte entsprechen Noten, die harmonische Zusammenklänge bilden, die Verbindungslinien und -bögen zwischen den Punkten machen zwingende Abhängigkeiten deutlich.

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Die Farben dieser Grafiken entsprechen den Stimmen bzw. der Lesart des ganz oben mit der jeweils selben Farbe markierten Notenschlüssels.

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