Das Finale: 4. Satz aus der Klaviersonate op.2, Nr.1, f-moll
von Ludwig van Beethoven

Der folgende Finalsatz ist Bestandteil der Klaviersonate op. 2, Nr. 1 in f-moll von Ludwig van Beethoven.

Auf das im Vergleich zum ersten Satz weniger wuchtige Menuett nebst Trio folgt nun ein furioser Finalsatz, der - den Kreis der gesamten Sonate formal schließend - in einer erweiterten Form eines Sonatenhauptsatzes gestaltet ist.

Da Die Sonatenhauptsatzform schon am 1. Satz dieser Sonate genauer betrachtet wurde, soll für die Betrachtung des Finales eine nicht besonders in die Tiefe gehende Analyse genügen.

Der Satz steht in f-moll, der Haupttonart der Sonate. Die Vortragsbezeichnung "Prestissimo" und die Taktart 2/2 (alla breve) verlangen ein "musikalisch so schnell wie mögliches" Geschehen.

Übersicht über den formalen Ablauf:

Exposition:
1.Themenkomplex:
Überleitung:
2.Themenkomplex:
Seitengedanke:
Schlussgruppe:
Überleitung:

T.1 - T.56
T.1 - T.21
T.13 - T.21
T.22 - T.34
T.35 - T.50
T.50 - T.56
T.57/58

Durchführung:
Durchführung I:
Durchführung II:
Überleitung:

T.59 - T.138
T.59-T.109
T.109-T.131
T.131 - T.138

Reprise:
1.Themenkomplex:
Überleitung:
2.Themenkomplex:
Seitengedanke:
Schlussgruppe:

T.138 - T.196
T.138 - T.160
T.152 - T.160
T.161 - T.173
T.174 - T.189
T.189 - T.196

Auffallend ist die Auftaktigkeit, die alle Einsätze von Motiven und Teilabschnitten bestimmt.
(Alle Taktzahlen im Folgenden beziehen sich auf die Volltakte, die beschriebenen Vorgänge setzen häufig als Auftakt ein.)

Exposition

Für diesen Satz trifft der seltene Fall zu, dass das zweite Thema nicht in der Tonikaparallele As-dur erklingt, sondern in der V. Stufe in Moll ( in der so genannten Molldominante c-moll ). Dadurch ist der Gegensatz zum ersten Thema nicht sehr deutlich ausgeprägt, zumal sich das Themenmaterial auch sehr ähnlich ist:

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Das mit roten Noten markierte auftaktige Motiv ist für beide Themen prägend und wird in beiden Themen umgekehrt (blaue Noten), wobei sich dieser Vorgang im zweiten Thema überlappt (die rot/ blauen Noten sind sowohl Ende der einen, als auch Anfang der anderen Motivvariante). Auch die rasche Triolenbewegung ist beiden Themen gemeinsam. Lediglich rhythmisch ist das erste Thema wesentlich prägnanter.

Der sonst nötige Gegensatz zwischen erstem und zweitem Thema ist hier nicht erwünscht, denn diese Wirkung soll für das Einsetzen der As-dur-Teils am Beginn der Durchführung nicht vorweggenommen werden. Dieser As-dur-Teil nimmt in den Takten 59 - 109 auf das erste Thema des ersten Satzes Bezug. So hängt alles im Finale Gesagte offensichtlich mit dem ersten Satz zusammen. Würde ein zweites Thema hier ebenfalls in der Tonikaparallele As-dur erklingen, käme der besondere Moment des Einsetzens des Themas aus dem ersten Satz im selben Tongeschlecht (Dur) sicherlich nicht zur Geltung.

Die Weiterführung des ersten Themas beginnt mit dem Auftakt zu T.6 . Da sie unvermittelt in der Tonikaparellele As-dur einsetzt, wirkt sie wie dem ersten Thema gegenübergestellt. Rhythmisch und motivisch ist sie aus dem gleichen Material, wie das Thema selbst: Die Tonwiederholung des es'' (ab Auftakt zu T.6/7) greift die des Themas aus T.2/3 und T.4/5 ( c''') auf, mildert den harten Rhythmus des Beginns aber ab, indem statt der Pausen am Ende der Themenmotive (blau markiert) eine hinzugefügte Legatonote as'' erklingt (ebenfalls blau markiert). Vom harmonischen Aufbau ( t - unvermittelt gegenübergestellte tP ) erinnert dieser Beginn des Finales an den Beginn des Menuettes.

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Die tP von f-moll zielt hier als tG bereits weit voraus auf das c-moll des zweiten Themas. Die für die Modulation von f-moll nach c-moll entscheidende harmonische Wendung beinhaltet den f-moll-Akkord und den Quintsextakkord (Grundton d, Doppeldominante von c-moll) in T.12.

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Das zweite Thema wird in der Überleitung T.13 - T.21 mit den Mitteln des ersten Themas in der Dominante von c-moll vorbereitet.

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Durch die steigenden Umkehrungen der Akkorde in der rechten Hand (Terz-, Quint- und Septimton, oben rot markiert) und die Dehnung des Vorgangs in den Takten 17-19 wird die Spannung stark gesteigert.

Das zweite Thema wirkt wie "auf dem Weg" zwischen zwei Zuständen: Der dreinfahrenden Wildheit des ersten Themas und der "sich abfindenden" Haltung des in T.35 einsetzenden Seitengedankens. Auch hier ist unterschwellig das Motiv des ersten Themas zu spüren.

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Der Seitengedanke mündet in die Schlussgruppe T.50 - T.56, die sich energisch mit dem ersten Thema (jetzt in c-moll) gegen die Beschwichtigung (oder Resignation) des Seitengedankens auflehnt.

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Zweites Thema und Seitengedanke werden von der Gestik des ersten Themas "eingerahmt", denn die Takte 50 - 56 sind vergleichbar mit der Überleitung T.13 - T.19. Auch die Dehnung in T.17 -T.19 findet in den Takten 55f eine Entsprechung, nur dass die letztere keine steigernde sondern eine zum Spannungsniveau des Satzbeginns zurückführende Wirkung hat: Die Exposition wird nun wiederholt.

Durchführung (T.59 - T.138)

Nach der Wiederholung der Exposition vermittelt eine kurze zweitaktige Überleitung, die letzten drei Akkorde der Exposition aufgreifend, mit dem Dominant-Terzquart-Akkord von As-dur ( tG von c-moll, worin die Exposition endete, tP von f-moll, der Tonart des Satzes) zur Durchführung.
As-dur ist nun die neue Tonika.

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Die Durchführung kann in zwei Teile gegliedert werden: T.59 - T.109 und T.109 - T.131. Im ersten Teil wird auf das erste Thema des ersten Satzes Bezug genommen und so alles im Finale Gesagte offensichtlicher mit dem ersten Satz in Zusammenhang gebracht. Die Sonate als Ganzes erfährt so eine starke Geschlossenheit der Form. Dabei wird das erste Thema des ersten Satzes nicht einfach nur zitiert, denn inzwischen sind die zwei Mittelsätze und die Exposition des Finalsatzes erklungen, und das hat natürlich seine Spuren hinterlassen.

Gemeinsam sind beiden Themenversionen
der aufwärts gebrochene Dreiklang der Tonika (rot markiert),
das Umspielen einer Note (grün markiert),
die gleichartige Begleitung in der linken Hand (blau markiert),
die Verwendung des Vorhaltes (hellblau markiert),
und die fallende kleine Terz zwischen dem letzten Ton des gebrochenen Dreiklanges und dem letzten Ton des Themenkopfes.

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Die im Finale vorkommende Themenversion unterscheidet sich von der am Beginn der Sonate erklingenden durch den milderen, freundlicheren Charakter, der hauptsächlich durch das unterschiedliche Tongeschlecht (im Finale: As-dur, im ersten Satz: f-moll) und die weichere Artikulation (im Finale: "gesungenes" Legato, im ersten Satz: akzentuiertes Staccato) erreicht wird. Umgeben von den furiosen zwei Themen der Exposition auf der einen Seite und vom zweiten Teil der Durchführung, der das erste Thema des Finales wieder aufgreift und in Beziehung zum Thema des ersten Satzes bringt auf der anderen Seite, wirkt das milde As-dur wie eine Insel der scheinbaren Ruhe. Dieser Eindruck wird auch dadurch verstärkt, dass die sonst allgegenwärtige Triolenbewegung in den Takten, in denen das dem ersten und letzten Satz gemeinsame Thema erklingt, nicht vorkommt (T.59 - T.108, T.111/112, T.115/116, T.119 - T.126).

Dieser erste Teil der Durchführung besteht aus einer Gruppe aus zehn Takten

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und einer aus zwei mal acht Takten.

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Die beiden Gruppen werden jeweils einmal etwas variiert wiederholt. Periodenbildung im klassischem Sinne findet nicht statt, da hier das Schema des kadenzierenden III. und des den Schlussakkord beinhaltenden IV. Taktes eines Halbsatzes meistens nicht verwirklicht ist.
(Deswegen sind die römischen Ziffern, die die Taktfunktionen bezeichnen in der Grafik oben klein dargestellt.)
Dennoch hat dieser As-dur-Teil eine kleine eigenständige klassische A-B-A'-Form, vergleichbar etwa mit der des
Themas aus dem ersten Satz von Mozarts A-dur-Klaviersonate KV331.

Interessant fällt in diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen dem A - und dem A'-Teil aus.
(In der Grafik unten sind die verschiedenen Teile unterschiedlich eingefärbt, die entsprechenden Takte stehen übereinander.)

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Der A-Teil ist gegenüber dem A'-Teil um die Takte 61/62 erweitert. So hat das Thema beim ersten Erklingen mehr Zeit sich zu entfalten, beim zweiten hingegen ist es auf das Wesentliche reduziert. Diese zwei zusätzlichen Takte haben Konsequenzen: Da sie im A'-Teil fehlen, ist schon der zweite Thementakt (T.88) mit der Dominante harmonisiert. Also muss die harmonische Spannungskurve unterschiedlich verlaufen: In T.64 fällt diese auf die Tonika zurück, in T.90 steigert sie sich zu einem Zwischen-Dv zur Sp. Um im A'-Teil die Schlusswirkung zu verstärken, wird der "Vorbildtakt" 65 zu zwei Takten gedehnt (T.91/92, linker roter Kasten in der Grafik oben), dafür entfällt die Entsprechung für T.66. Die Takte 67/68 werden in den Takten 93/94 übernommen (rechter roter Kasten in der Grafik obern).

Ab T.109 tritt das Motiv, das Bestandteil beider Themen der Exposition des Finales ist, wieder in Erscheinung. Nun wird der bisherige Teil der Durchführung in Bezug zum Themenmotiv der Exposition gesetzt. So führt der weitere Verlauf der Durchführung den Hörer nach und nach aus der friedlichen As-dur-Welt zurück in das ungestüme f-moll, das in der Reprise wieder erreicht wird.

Drei Viertaktgruppen beginnen den Weg zurück nach f-moll. Das As-dur des ersten Durchführungsteils kann nun wieder als tP (von f-moll) aufgefasst werden. Das erste Viertel der ersten zwei Takte, die das Motiv des Finales beinhalten, ist Zielpunkt jeder Viertaktgruppe, die zwei Takte mit dem Oktavsprung und dazugehörigen Doppelschlag zielen auf die jeweils nächste Viertaktgruppe. So geht der Weg von der tP und dem Dominant-Terzquart-Akkord (T.113) zur noch nicht gefestigten wieder erreichten Tonika f-moll (T.117).

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Der vierte Takt der dritten Viertaktgruppe (T.120) ist gleichzeitig erster Takt eines achttaktigen Vorganges (T.120-T.127) , der durch das Ansteuern der Doppeldominante (T.126) die Festigung von f-moll als wiedergewonnene Tonika vorbereitet.

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Dabei wird in T.120 -T.124 das Oktavmotiv und die Begleitung bei taktweise wechselnden Funktionen wiederholt, T.125 wirkt kurz innehaltend und bereitet die Verkürzung des Oktavmotivs von T.126 vor. Ziel ist die Dominante von f-moll, die ab T.127 das Geschehen bestimmt (in der Grafik unten grün markiert) und das Einsetzen der Tonika und der Reprise ab T.138 die Spannung nach und nach steigernd vorbereitet.

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Wie es möglich ist, auch mit Reduzierung der Mittel anwachsende Spannung zu erzeugen, zeigt sich den Takten 127- 137:

In harmonischer Hinsicht:
Während in den Takten 127 - 130 bedingt durch das Themenmotiv auf dem vierten Viertel jedes Taktes der Doppel- Dv erklingt (oben: hellblau eingereist) und so f-moll als Tonika immer stärker etabliert wird, bleibt ab T.131 nur noch die Dominante übrig ("Stehenbleiben auf der Dominante").

In motivisch-struktureller Hinsicht:

1.) Verkürzungsprozess mit dem Themenmotiv: In den Takten 127 - 130 springt das Themenmotiv zwischen der rechten und linken Hand hin und her, ab T.131 verbleibt es sowohl zwischen Nonen- und Oktavton der Dominante pendelnd in der rechten (Sopran) als auch gleichzeitig parallel zwischen Septim- und Sextton wechselnd in der linken Hand (Tenor). Da das Motiv in Sopran und Tenor nun in beiden Stimmen gleichzeitig, also im gleichen Zeitraum häufiger erklingt, beginnt hier ein Prozess der Verkürzung (in der Grafik oben rot markiert), der sich in den Takten 134-137 fortsetzt: Hier wechselt das Themenmotiv nun unablässig zwischen Nonen- und Oktavton.
2.) Reduzierung der Triolenbewegung: Von T.131 bis zum Beginn der Reprise breitet der Alt einen Triolen-Klangteppich ausschließlich bestehend aus dem Quint- und Terzton der Dominante aus.
3.) Orgelpunkt im Bass: Ebenso ab T.131 liegt im Bass als Orgelpunkt der Grundton der Dominante "c" , der zunächst noch auf dem jeweils zweiten Viertel der Takte 132/133 rhythmische Akzente in Form von Synkopen-Sforzati setzt, dann ab T.134 ausgehalten wird. Von nun an verharren Sopran, Alt und Bass in ihren Zuständen, während im Tenor als einzige Aktion der taktweise melodieartige Wechsel von Septim-,.Quint-, Terz- und wieder zurück zum Septimton bleibt.

Auch die Dynamik reduziert sich bis zum "pp" in T.137.

Reprise (T.138-T.196)

Entspannung schafft mit ihrem in der Tonika f-moll einsetzenden Forte die Reprise (T.138). Sie geht von statten, wie es von einer Reprise zu erwarten ist:
Erstes (T.138) und zweites Thema (T.161) erklingen nun beide in der Tonika. Die hierzu notwendige Einrichtung in den Takten 147-152 verwendet das Material der Takte 10 ff der Weiterführung des Themas aus der Exposition.

Während in T.11/12 die Tonika (f-moll) und ihre Dominante (in der Grafik unten rot markiert) in die Moll-Subdominante von c-moll und deren Zwischendominante umgedeutet werden (in der Grafik unten grün markiert),

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wird in der Einrichtung (T.147 - T.152) durch Erweiterung des viertaktigen Halbsatzes der Takte 10 - 13 auf sechs Takte erreicht, dass eingeschobene Wiederholungen des variierten Themenmotivs mit dessen Harmonisierung D - t für ein Verbleiben in f-moll sorgen. (Die eingeschobenen Wiederholungen sind in der Grafik unten blau markiert, das Verbleiben in f-moll kräftig rot.) Das Themenmotiv erklingt hier nun nicht nur zwei-, sondern viermal und wechselt dabei zwischen den Händen (Die Entsprechungen sind in den Grafiken oben und unten gelb, markiert). Erklingt es in der linken Hand, bereitet eine Variante der Achtelbewegung der Takte 11/12 in der rechten Hand den Moment des "Verbleibens in f-moll" vor (in beiden Grafiken hellblau markiert).

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Der zweite Themenkomplex, der Seitengedanke und die Schlussgruppe bleiben nun in f-moll. Letztere steigert am Ende der Sonate noch den furiosen Charakter des Satzes, indem das Themenmotiv mit den dazu gehörigen Akkorden von der linken Hand übernommen wird und die begleitenden wilden Achteltriolen nun über allem im Sopran besonders "thematisiert" werden und mit einem in den Bass fallenden f-moll-Arpeggio die Sonate beenden.

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Grafische Zusammenfassung:

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