Das Formprinzip der Fuge

Charakteristisch für den Beginn einer Fuge ist, dass die Stimmen nicht gleichzeitig sondern nacheinander einsetzen. Dabei spielen zwei Elemente eine besondere Rolle: das Thema (Subject) und das Gegenthema (Contrasubject oder Kontrapunkt). Welche Stimme beginnt, ist dem Komponisten überlassen. Wie und wann das Thema erklingt, ist aber geregelt.

Als Beispiel eines Fugenbeginns dienen hier die ersten siebzehn Takte der

Fuge XVI, g-moll, BWV 885 aus "Das Wohltemperierten Klavier, Bd.II" von J. S. Bach (1685 - 1750)

.

Diese Fuge ist vierstimmig.
Die Stimme, die beginnt (hier der Tenor), bringt das Thema der Fuge in der ihrer Grundtonart (Tonika).

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Ist das Thema vollständig erklungen, setzt die nächste Stimme mit dem dem Thema ein (in dieser Fuge ist das der Alt), diesmal erklingt es in der Dominante.

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Danach folgen nacheinander die restlichen Stimmen (hier zuerst der Sopran und schließlich noch der Bass) mit dem Thema, wobei dieses immer abwechselnd in der Tonika und in der Dominante gebracht werden muss.

Die Tonikaeinsätze heißen Dux (lateinisch: "Anführer"), die Dominanteinsätze werden Comes ("Begleiter") genannt.

Aus tonalen Gründen werden oft am Beginn eines Comes ein oder mehrere Töne der Gestalt verändert, dass sie in das harmonische Umfeld passen (grüne Note im Beispiel oben, grüne Kringel in der unteren Grafik).

Es ergibt sich also folgender Ablauf:

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Während eine Stimme das Thema erklingen lässt, erscheint in der Stimme, die unmittelbar vorher das Thema hatte das Contrasubject. Dieses kann immer das gleiche sein (dann heißt es beibehaltenes Contrasubject) oder aber jedes mal ein anderes. In diesem Beispiel handelt es sich um ein beibehaltenes Contrasubject:

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Der Unterschied zwischen dem Thema und dem Contrasubject ist der, dass das Thema einprägsamer ist, d.h. den stärkeren Charakter hat. Ebenso verhält es sich zwischen dem Contrasubject und einer "freien Stimme": das Contrasubject ist einprägsamer, es muss schließlich der Kraft des Themas widerstehen können.

Ist das Thema einmal in allen Stimmen erklungen, wurde es einmal durchgeführt: Man spricht von einer Durchführung. Die erste Durchführung einer Fuge heißt Exposition.
(Achtung: Die Begriffe "Durchführung" und "Exposition" haben in einer anderen Formgattung eine andere Bedeutung [Sonate].)
Nach der Exposition ist der erste Abschnitt der Fuge beendet.

Nun folgt ein sogenanntes Zwischenspiel. Das Zwischenspiel hat die Aufgabe, einen spielerischen Gegenpol zur strengen Konzentration der vorangegangenen Durchführung zu schaffen. Meistens werden die melodischen Figuren eines Zwischenspiels aus Elementen des Themas und/oder des Contrasubjectes gewonnen. Oft reduziert sich während des Zwischenspiels die Stimmenanzahl.

Damit sind bereits alle die Elemente, aus denen eine Fuge besteht aufgezählt.
Es entspinnt sich ein Wechselspiel aus konzentrierten Durchführungen (wobei das Thema nicht immer durch alle Stimmen geführt werden muss) und lockeren Zwischenspielen. Während in den Durchführungen für tonale Abwechslung kein Raum ist (Dux - Tonika, Comes - Dominante), bleibt die Möglichkeit zu modulieren, d.h. eines Tonartenwechsels den Zwischenspielen vorbehalten, was ihrem spielerischen Charakter entspricht.

Wie viele Durchführungen und Zwischenspiele aufeinander folgen, bleibt dem Komponisten überlassen. Die Länge der Fuge richtet sich danach, was ihr Thema und das Contrasubject "hergeben".

Als Höhepunkt wird oft am Schluss der Fuge eine so genannte Engführung gesetzt. Dabei überschneiden sich die Themeneinsätze, während das Thema durchgeführt wird. D.h. eine Stimme bringt das Thema, während es in einer anderen Stimme noch erklingt.

Welche Stimmen den Dux und welche den Comes haben, ist in der folgenden Grafik willkürlich gewählt. Zwingend ist die Reihenfolge von Dux und Comes.

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(Hier kann diese Grafik als PDF heruntergeladen werden.)

Literaturbeispiele:
Fuge XXI, B-dur aus "Das Wohltemperierte Klavier, Bd. I", BWV 866 von J. S. Bach
Fuge XXII, b-moll aus "Das Wohltemperierte Klavier, Bd. I", BWV 867 von J. S. Bach

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